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"Lebenslinien" – mein Fotoprojekt findet seinen erfolgreichen Abschluss

Die "Lebenslinien" hängen.  Hier in der Senioreneinrichtung "Hof am Teich" des ASB Barnim. 20 Porträts von Hochbetagten.

 Ja, es ist tatsächlich geschafft. Allen Widrigkeiten durch Corona zum Trotz, konnte ich das Projekt mit der Ausstellungseröffnung am 18.9.2021 im Hof am Teich in Basdorf abschließen. Noch ist Corona nicht Geschichte und so musste die Eröffnung im Rahmen des traditionellen Oktoberfestes gänzlich ohne Besucher auskommen. Vernissage geht anders!

Und so blieb es bei kurzen Eröffnungsreden des Geschäftsführers des ASB Regionalverband Barnim e. V., Herrn André Mettin, und des Fotografen Jürgen Naß, bevor jedem der Teilnehmer und Teilnehmerinnen das Fotobuch ausgehändigt wurde.

 

Irgendwann im neuen Jahr dann wird es eine Ausstellung in Zühlsdorf oder Wandlitz geben. Mit Publikum!

Das Fotobuch

Einband des Fotobuches "Lebenslinien" Herausgeber Jürgen Naß

Wer sich für mein Projekt interessiert, darf gern weiterlesen. Mein Resümee zum Projekt "Lebenslinien". Zwei Jahre erfolgreiche Projektarbeit liegen hinter mir. Was wird das nächste Projekt, ist die spannende Frage, die ich bestimmt schon in den nächsten Wochen beantwortet haben werde. Erste Überlegungen nehmen bereits Gestalt an.

Mein Resümee

Die Umsetzung

Mein Plan, das Projekt innerhalb eines Jahres zu realisieren, musste wegen Corona schnell aufgegeben werden. Aus dem einen Jahr wurden zwei. Besonders die mehrmonatige Pause, in der aufgrund der geltenden Zutrittsbeschränkungen gar nichts mehr ging, stellte eine Herausforderung dar.

Es fühlte sich wie ein Neuanfang an. Allein die Tatsache, dass die erste Staffel in der dunklen Jahreszeit von November 2019 bis Februar 2020 entstand – die zweite aber im hellen Frühling und Sommer des Jahres 2021, veränderte die Lichtverhältnisse in den Zimmern gravierend. Gefragt war ein geändertes Konzept der Lichtsetzung.

Wahrscheinlich gab es auch positive Veränderungen in der Stimmung der zu Porträtierenden: Vergleicht man die Fotos der beiden Staffeln, erkennt man in der zweiten mehr freundliche Gesichter mit einem herzlichen Lachen, als in der ersten. Dies mag an der hellen Jahreszeit gelegen haben, oder auch am Gedanken, das Schlimmste bzgl. der Epidemie überstanden zu haben.

 

Fotografiert habe ich eher so nebenher. Es gab keine Inszenierungen und es gab keine gestellten Posen. Bis zu 150-mal betätigte ich den Auslöser während eines Gespräches. Selbst das Aufleuchten der Softbox wurde irgendwann nicht mehr wahrgenommen. Störend war dies erstaunlicherweise zu keinem Zeitpunkt. Am heimischen PC fand ich sie dann: die Schätze der Fotosession.

 

Ich ging jedes Mal nicht nur mit schönen Fotos nach Hause, sondern auch mit einer neuen Geschichte und dem guten Gefühl, das einen überfällt, wenn man einem unbekannten Menschen auf eine sehr spezielle Weise näherkommen durfte. Einem Gefühl großer Dankbarkeit.

 

Ebenso berichten auch viele der Porträtierten, dass es ihnen guttat, für die eigene, oft nicht einfache Lebensgeschichte einen aufmerksamen Zuhörer gefunden zu haben.

 

Es war kein Interview, was ich führte, sondern ein Gespräch, welches ich mit der Frage einleitete, wo man geboren und aufgewachsen sei. Und schon waren wir mittendrin im Erzählen dieser Geschichte – und im Zuhören. Mitgeschrieben wurde hier nichts: das hätte abgelenkt vom Fotografieren. Vielmehr zeichnete ich das Gespräch elektronisch auf. Erst am PC entstand die kleine Geschichte, die Eingang in das Fotobuch gefunden hat. Zusammengepresst auf 1000 Zeichen erhebt sie keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr sind es nur ein paar Schlaglichter auf wesentliche, oft prägende Ereignisse. Mehr oder weniger zufällig erinnert und erzählt in dem 60-minütigem Gespräch – und vielleicht gerade deshalb in höchstem Maße authentisch.

 

Die Lebensgeschichten

Kennzeichnend für viele Lebensgeschichten das Thema Krieg sowie Flucht und Vertreibung. Ohne jede Verbitterung berichteten sie über erlittene Verluste und Entbehrungen. Aber auch den hoffnungsvollen Neubeginn, das Leben in der DDR und die Wende mit ihren Chancen, aber oft auch neuen Verletzungen.

Mir persönlich wurden vor allem zwei Dinge bewusst: Zum einen das Glück, immerhin schon 72 Jahre ohne Krieg leben zu können. Zum zweiten die dringende Notwendigkeit, denen Gehör zu verschaffen, die diese Geschichten (noch) erzählen können. Vor allem natürlich in den Familien.

Zwei Jahre sind eine lange Zeit. Und so blieb es nicht aus, dass auch Teilnehmer dieses Fotoprojektes verstarben. Die Erinnerung an sie lebt nicht zuletzt in den Fotos fort. Gut, dass es diese gibt – und zumindest eine ganz kleine Lebensgeschichte im Fotobuch obendrauf!

 

Vielleicht kann dieses Projekt auch dazu beitragen, die Pflegebedürftigen und das Thema Pflege stärker in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Insbesondere um die Arbeit derer würdigen, die in den Pflegeeinrichtungen einen wesentlichen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Ich selbst habe deren Arbeit besser schätzen lernen können!

Auch deshalb, weil oft Teilnehmer des Projektes ehrliche Worte der Hochachtung vor der Arbeit der Pflegekräfte äußerten. Nahezu alle zeigten sich zufrieden mit der Unterbringung, der Betreuung und – dem sehr guten Essen.

 

Danke

Zutiefst dankbar bin ich dafür, dass mir die Möglichkeit eingeräumt wurde, das Projekt hier im „Hof am Teich“ zu starten. Danke, Herr Mettin, für die materielle und organisatorische Unterstützung! Danke Frau Kreinsen, danke Herr Strehler für die vielen Terminvereinbarungen mit den zu Porträtierenden. Und danke auch den Angehörigen, die der Mutter oder dem Vater, oder auch der Oma oder dem Opa gut zuredeten, sich für ein Porträt zur Verfügung zu stellen.

Wenn der Mensch im Allgemeinen oft erst überzeugt werden muss, sich fotografieren zu lassen – um wieviel mehr muss um die Einsicht gerungen werden, dass auch das gealterte, vom Leben gezeichnete Gesicht wert ist fotografiert zu werden.

 

Ein besonderes Dankeschön allen Damen und Herren, die sich gemeinsam mit mir auf eine spannende Reise begeben haben.

Und hier noch mal der Link auf meinen ersten Beitrag zum Fotoprojekt Lebenslinien..

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Kommentare: 3
  • #1

    Nora Kuhlicke (Freitag, 01 Oktober 2021 09:57)

    Ich bin sehr beeindruckt von diesen Portraits und auch von dem Buch. Wie haben sie es nur geschafft, das meine Mutter so entspannt für ein Foto lacht? Mir ist das nie gelungen. Ihr gefallen die Fotos auch sehr gut und jetzt ist sie froh, mitgemacht zu haben.
    Vielen Dank für diese tolle Arbeit!

  • #2

    R. Grabolle (Montag, 04 Oktober 2021 12:52)

    Lieber Herr Naß,
    ich bin tief bewegt, nachdem ich die Portraits der Menschen in der Senioreneinrichtung in Basdorf angeschaut habe. Einen Großteil der Portraitierten kenne ich durch meine Arbeit als Ergotherapeutin vor Ort persönlich und konnte auf jedem Foto das Wesen der Portraitierten erkennen.
    Ich denke es ist eine große Chance, sein eigenes Wesen erkennen zu dürfen, in dem ich durch die Augen eines anderen mich selbst sehe. Dabei kann ich vielleicht meine eigene Schönheit und Vielfältigkeit erkennen.
    Dieses Geschenk, für die Portraitierten ist Ihnen gelungen - Vielen Dank.

  • #3

    Annegret Jesorlowitz-Scheller (Freitag, 17 Dezember 2021 11:21)

    Lieber Jürgen,
    heute bin ich mal wieder auf deiner Webseite am schnökern und bin an deinem faszinierenden und beeindruckenden Projekt Lebenslinien hängen geblieben. Ich möchte dir sagen, wie wertvoll ich deine Arbeit finde, welch eine Wertschätzung für die Porträtierten! Ein wertvoller Raum für Lebensgeschichte ist da entstananden, Hochachtung! Kann man Dein Buch erwerben?
    Herzliche Grüße schicke ich Dir zum Jahreswechsel mit den besten Wünschen für Dich,
    Anne

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